Von Regenwürmern und Pandabären – Ungleichheit beim Artenschutz bedroht ökologisches Gleichgewicht
Was haben Nashörner, Koalas und Pandabären mit Regenwürmern, Schlangen und Maden gemeinsam? Die genannten Arten sind durch die menschlichen Eingriffe in die Biosphäre in ihrer Vielfalt bedroht. Weltweit ist ein besorgniserregender Trend zu beobachten: Zwar treiben viele Nationen den Schutz von Säugetierarten wie Elefanten und Pandas voran, doch eher unscheinbare Tiere, insbesondere Insekten und Würmer, geraten aus dem Fokus.
Die Ungleichheit beim Artenschutz ist ein Fakt
Im Jahr 2019 veröffentlichte der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) einen Bericht, der besagt, dass mehr als eine Million Tier- und Pflanzenarten innerhalb der nächsten Jahrzehnte von der Erde verschwinden werden. Das Ausmaß des Artensterbens sei vergleichbar mit dem letzten Massenaussterben am Ende der Kreidezeit. Vor etwa 66 Millionen Jahren löschte der Einschlag eines Asteroiden nicht nur die Dinosaurier aus, sondern auch die meisten anderen Arten, die zu jener Zeit auf dem Planeten lebten.
Die Generaldirektorin der UNESCO, Audrey Azoulay, bezeichnete den Bericht als „kritischen Moment in der Menschheitsgeschichte“ und forderte die Weltgemeinschaft nachdrücklich dazu auf, Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt zu ergreifen.
Das Problem: Der Mensch gestaltet den Artenschutz
Pandabären bezaubern mit ihren großen, schwarzen Augen, der weißen Schnauze und ihren langsamen Bewegungen, die sie auf Beobachter tapsig wirken lassen. In der freien Wildbahn ist die Bärenart kaum noch anzutreffen.
Der Regenwurm ist hingegen ein unscheinbares Tier, das wenig Sympathie erregt. Er ist blind, schleimig und fast hirnlos. Viele Menschen empfinden die Würmer als ekelhaft und nutzlos. Dieses Schicksal teilen die Regenwürmer mit zahlreichen Insektenarten. Deren Bestand liegt derzeit rund 80 % niedriger als vor 30 Jahren.
Wenn die Nationen konkrete Maßnahmen für den Artenschutz planen und umsetzen, befindet sich ihr Fokus tendenziell auf dem Schutz solcher Tiere, die sich als Touristenattraktionen auf einer Safari oder in Zoos eignen. Wer niedliche Pandabären und Koalas vor dem Aussterben rettet, erhält Applaus. Wer sich als Artenschützer hingegen für die Vielfalt der Insektenarten einsetzt, bleibt von der Öffentlichkeit unbemerkt.
Die Neigung der Staaten zum bevorzugten Schutz von populären Tierarten belegt unter anderem eine US-amerikanische Studie zum Artenschutz aus dem Jahr 2011.
Problematisch an dieser Bevorzugung ist, dass sich die benötigten Gelder zur Finanzierung der Artenschutzmaßnahmen dort befinden, wo der Fokus der Öffentlichkeit liegt.
Das leise Sterben der Regenwürmer
Viele Menschen wären traurig, wenn niedliche Koalabären oder majestätische Elefanten vom Antlitz der Erde verschwinden würden. Nahezu unbemerkt vollzieht sich ein gefährliches Artensterben direkt unter unseren Füßen: In Deutschland, das großen Wert auf den Umweltschutz legt, sind 50 % der 47 Regenwurmarten vom Aussterben bedroht. Die Ursache für den Rückgang der Regenwurmpopulationen sehen Forscher im flächendeckenden Einsatz von Pestiziden. Die Giftstoffe töten die Regenwürmer, beeinträchtigen ihre Fortpflanzungsfähigkeit oder verändern ihr Nahrungsangebot. Würden die Würmer aus unserem Ökosystem verschwinden, hätte dies gravierende Auswirkungen auf die Menschen: Regenwürmer tragen zur Bodenbelüftung bei und unterstützen die Zirkulation von Nährstoffen im Erdreich. Dadurch verbessern sie die Qualität der Böden. Würde der Regenwurm verschwinden, würden ihm unsere Blumen und unsere Nutzpflanzen, die unserer Ernährung dienen, folgen.
Artenschutz neu und ganzheitlich denken
Ökosysteme sind hochgradig empfindlich. Jede Tier- und Pflanzenart spielt in einem solchen System eine einzigartige Rolle. Wenn eine Art ausstirbt, verursacht dies ein Ungleichgewicht im gesamten Ökosystem. Tiere wie Schlangen, Ratten und Fliegen wecken nur bei wenigen Menschen Sympathien. Dennoch gehören sie zur natürlichen Nahrungskette, wodurch sie direkt die Populationen anderer Arten regulieren.
Die Staaten sind deshalb in der Pflicht, den Artenschutz neu zu denken und sich an den Erfordernissen der komplexen Ökosysteme zu orientieren.
Mit anderen Worten: Wer den Panda retten will, darf den Regenwurm nicht vergessen.
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