Der Kohleausstieg bis zum Jahr 2035 – realistisch oder Wunschdenken?
Die G7-Staaten haben sich im April 2024 darauf geeinigt, bis zum Jahr 2035 den Abbau der Kohle als Energieträger zu beenden. Alleine in Deutschland zeigen die unterschiedlichen Reaktionen aus der Gesellschaft, der Politik und aus den Interessenverbänden aber bereits, wie schwierig es sein dürfte, dieses Ziel zu erreichen.
Die G7-Staaten einigen sich
Mit großen Erwartungen begann die UN-Klimakonferenz im Herbst 2023 in Dubai – und mit einer großen Enttäuschung endete sie. Seinerzeit war es den Vertretern aller Staaten weltweit nämlich nicht gelungen, sich auf den Kohleausstieg zu einigen. Umso überraschender kommt nun die Meldung, dass sich die sieben führenden westlichen Industrienationen – die sogenannten G7 – Ende April 2024 doch auf einen Kohleausstieg verständigen konnten. Zwar ist bisher nicht konkret formuliert worden, welche Maßnahmen dafür eingeleitet werden müssen. Am Vorhaben, dieses Ziel noch in der ersten Hälfte der 2030er Jahre zu erreichen, gibt es dagegen keine Zweifel. Als spätester Zeitpunkt wird das Jahr 2035 angestrebt. Doch wie realistisch ist dieser Wunsch eigentlich?
Auch Deutschland ist zu Zugeständnissen bereit
Bislang haben viele Staaten einen eigenen Weg bei der Frage beschritten, ob sie fossile Rohstoffe auch künftig noch für die Gewinnung von Strom und Wärme nutzen wollen. Einerseits sind diese Ressourcen endlich und somit nicht dauerhaft verfügbar. Andererseits sind ihr Abbau und ihre Verarbeitung mit einer erheblichen Belastung der Umwelt verbunden. Deutschland hat sich somit bereits in der Vergangenheit dazu verpflichtet, den Kohleausstieg bis in das Jahr 2038 zu bewältigen. Kritiker lobten zwar das Konzept an sich, sahen den Zielzeitpunkt aber als verspätet an. Die G7-Nationen haben sich daher nun bei einem gemeinsamen Treffen im italienischen Turin darauf geeinigt, sich schon bis 2035 gänzlich von der Kohle als Energieträger zu lösen.
Erste Kritiker zeigen sich
Doch so sehr der Beschluss zunächst gefeiert wurde, so schnell positionierten sich mahnende Stimmen. Sie kamen anfangs von Michael Kretschmer und Dietmar Woidke, den Ministerpräsidenten der Bundesländer Sachsen und Brandenburg. Mit Blick auf die Lausitz als Abbaugebiet der Braunkohle verwiesen beide auf den in Deutschland gesetzlich verankerten Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 – das sei die einzige bislang juristisch bindende Grundlage, folglich müsse an ihr festgehalten werden. Der Beschluss der G7-Nationen würde dagegen das Vertrauen in den Rechtsstaat Deutschland untergraben. Insgesamt sei es nicht hinnehmbar, dass auf derlei Treffen immer wieder neue Daten für die Abkehr von der Kohle genannt würden. Gerade eine Region wie die Lausitz benötige Planungs- und Rechtssicherheit.
Eine Frage des technischen Fortschritts und der Kosten
Mit ihrer Kritik stützen sich beide Ministerpräsidenten aber zugleich auf ein Gutachten, das kürzlich vom Bundesverband der Energiewirtschaft veröffentlicht wurde. In ihm wird angezweifelt, ob die Energiewende – und damit der Kohleausstieg – überhaupt bis in das Jahr 2038 möglich ist. So wäre diese Maßnahme mit dem bisherigen Stand der Anlagen und Geräte kaum vorstellbar, es bedürfte also ohnehin erheblicher Investitionen in den technischen Fortschritt. Ebenso würde die Reduzierung fossiler Ressourcen alleine bis 2038 mit zusätzlichen Kosten von 1.200 Milliarden Euro verbunden sein. Daher stelle sich die Frage, wie sinnvoll angesichts solcher Rahmenbedingungen eine Vorverlegung des Ziels auf das Jahr 2035 sei.
Jede eingesparte Tonne Kohle hilft
Während sich Politiker aus dem Osten der Republik über die Einigung der G7-Staaten mehr ärgern als freuen, kommen vor allem aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen lobende Worte. Die dortige Landesregierung hatte sich nämlich eigenständig auf einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 festgelegt. Allerdings erwartet auch sie eine einheitliche Richtlinie der Bundesregierung. So sei es zwar nachvollziehbar, dass bereits heute zunehmend auf Möglichkeiten abgestellt werden müsse, Sonne und Wind bei der Energiegewinnung zu nutzen. Demgegenüber sei aber zu hinterfragen, woher Wärme und Strom kommen sollen, wenn darauf einmal nicht zurückgegriffen werden könne. Das Ziel müsse dennoch darin bestehen, auf Kohle langfristig zu verzichten – jede eingesparte Tonne trage schließlich zum Klimaschutz bei.
Nicht nur möglich, sondern auch notwendig
Für die Naturschutzorganisation BUND stellt der Kohleabbau den zerstörerischsten Eingriff in die Umwelt dar, der vom Menschen ausgeht. So werde mit riesigen Anlagen der Lebensraum zahlreicher Tiere und Pflanzen zerstört. Auch die Optionen der Neugestaltung – etwa durch eine Aufforstung oder durch eine Nutzbarmachung der Flächen für die Landwirtschaft – können diesen Raubbau nicht ausgleichen. Dadurch würde die Artenvielfalt bedroht, natürliche Wasserläufe zerstört, Waldgebiete dezimiert. Für einen echten Umweltschutz sei es daher erforderlich, den Kohleausstieg möglichst früh zu bewältigen. Immerhin sei Deutschland innerhalb der Europäischen Union der größte Produzent der Braunkohle – mehr als 130 Millionen Tonnen werden hierzulande abgebaut. Das ist fast die Hälfte der gesamten EU-Leistung.
Ein Ziel, das erheblicher Anstrengungen bedarf
Als sich die Vertreter Italiens, Kanadas, Japans, der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands am letzten Apriltag 2024 in Turin auf den Kohleausstieg einigten, war das zunächst eine schöne Geste – der es indes an inhaltlicher Ausgestaltung fehlte. Alleine in Deutschland zeigen die unterschiedlichen Interessen der Gesellschaft, der Politik und der Lobbygruppen aber, wie schwer es sein dürfte, den Zeitpunkt bis zum Jahr 2035 zu erreichen. Mehr noch, auch die Frage der Machbarkeit mit Blick auf die Kosten und die benötigte Technik blieb bislang unbeantwortet. Hier müssen in naher Zukunft einheitliche Richtlinien folgen, die nicht nur die Kommunen binden, sondern die jedem einzelnen Staat einen Weg zur Reduzierung der verarbeiteten Kohlemengen aufzeigen.
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